Ein Sommer im Zentempel „La Gendronnière“

Von Mitte Juni bis Mitte September habe ich dieses Jahr den Sommer im Zentempel La Gendronnière in Frankreich verbracht. Vor dem Sommerlager, im Juni, gab es eine Samuwoche mit etwa zwölf Personen im Gemüsegarten Beete vorbereiten, säen, jäten, ernten. Morgens Zazen, dann Samu (tägliche Arbeit), Mittagessen, Siesta, Samu, Zazen und Abendessen, der Tempelrythmus, wie er das ganze Jahr über abläuft. Ich habe mich den ganzen Sommer über hauptsächlich um die Heilkräuter gekümmert, das heisst: Sammeln, binden, trocknen, Blätter ablesen und in Stoffsäcke einfüllen, damit sie als Tee zu den Malzeiten verwendet werden können.

Warum ich so gerne an diesem Ort bin

Für mich ist La Gendronnière der ideale Ort, Zazen zu praktizieren. Verbunden mit der Sangha, verbunden mit der Natur, sich selber kennen lernen. 1979 hat Meister Deshimaru dieses Grundstück mit dem Schloss „La Gendronnière“ erworben und seine Präsenz ist bis heute spürbar. Seine Schüler bauten damals dieses grosse Dojo, in dem schon über 400 Leute gleichzeitig Zazen praktiziert haben und das von dieser Praxis durchdrungen ist. Jedesmal, wenn ich mich wieder zum ersten Mal hier hinsetze, spüre ich das stark.

Verbunden mit der Sangha: Im gemeinsamen Nebeneinander-Sitzen, im Samu, bei einem Glas an der Bar. Alte Weggefährten und Freunde wieder treffen, neue Menschen kennenlernen. Ich bin immer wieder erstaunt und erfreut, was für tiefe und heitere Begegnungen hier stattfinden. Ohne lange Gespräche, einfach durch die Praxis des Sitzens und gemeinsamen Schaffens.

Verbunden mit der Natur: Das Gelände der Gendronnière ist 84 Hektaren gross, davon ist der grösste Teil Laubwald. Die Gebäude stehen also quasi in einer grossen Lichtung und vor allem im Sommer ist man fast immer draussen: Vom Schlafzimmer zum Dojo, vom Dojo zum Essraum, Samu im Garten oder im Wald, …

Dazu ist dieses Gebiet eine Art „Reservat“, weitgehend unberührte Natur mit einem Pflanzen- und Artenreichtum, wie man sie nur noch selten findet. Zur Zeit ist eine Gruppe von Ornithologen, Biologen und Insektenkundler aus der Gegend daran, ein Inventar dieser Artenvielfalt zu erstellen. Mit grosser Begeisterung finden sie hier manchmal Exemplare, die man schon ausgestorben glaubte.
Man wird also in der Gendronnière gleich zweimal geerdet: Durch das gemeinsame Zazen und durch das Leben in dieser ursprünglichen Natur.

Sommerlager

Die neuntägigen Sessionen die Meister Deshimaru eingeführt hat und die nun im August stattfinden, sind für mich die perfekte Formel für ein Sommerlager: fünf Tage Vorbereitungszeit, ein Festabend, ein Ruhetag, gefolgt von einem zweieinhalb-tägigen Sesshin. In dieser Zeitspanne kann der Geist zur Ruhe kommen, und man kann sich ganz auf den jeweiligen Augenblick konzentrieren. Praxis und Leben sind vereint und jeder findet seinen individuellen Platz.

Im September, nach den zwei Monaten Sommerlager, herrscht dann jeweils eine spezielle Stimmung. Die vielen Menschen sind weg, meist sind nur noch 10 – 15 Personen da. Umso intensiver spürt und hört man die Vögel und den Wind wieder. Das Herbstlicht vergoldet alles und wir konservieren Gemüse und Früchten aus dem Garten und kehren wieder zum Tempelalltag mit Morgen- und Abendzazen zurück.

Madeleine Ehrhard, September 2020

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